Hunderttausende deutscher Soldaten marschierten, kämpften und starben in den Napoleonischen Kriegen. Die längste Zeit als Verbündete Frankreichs. Dennoch bestehen zur Militärgeschichte und Heereskunde der Rheinbundzeit weiterhin viele Desiderate. Es gibt bislang weder eine deutsche Gesamtgeschichte des Rheinbunds als militärische Allianz noch gar eine Uniformkunde der deutschen Armeen in jenem Bündnis, sondern viele, oft bemerkenswerte Arbeiten zu Teilaspekten und einzelnen Kontingenten, nicht zuletzt publiziert in der Zeitschrift für Heereskunde oder, in den letzten Jahren, im Zeughaus Verlag.
Die Zurückhaltung gegenüber dem Rheinbund und seinem Militär war lange politisch begründet. Die deutsche Erinnerung an die Napoleonischen Kriege galt nur den Siegern über Frankreich, obwohl so gut wie alle deutschen Staaten außer Preußen erst im Herbst 1813 auf die Seite der Koalition übergegangen waren. Bis weit ins 20. Jahrhundert blickte man in Deutschland auf die Rheinbundzeit als eine Zeit der französischen „Fremdherrschaft“ und der erzwungenen Allianzen.
Die tatsächliche Situation, vor allem des „dritten Deutschland“ der Mittel- und Kleinstaaten zwischen Österreich, Preußen und Frankreich war zu Beginn des 19. Jahrhunderts aber weitaus komplexer. Bayern bot die Mitgliedschaft im Rheinbund eine Sicherheitsgarantie gegenüber den Großmächten Österreich und Preußen. Andere Staaten, die ab 1806 mehr oder minder freiwillig beitraten, erlebten einen Modernisierungsschub. Das von Jerome, dem jüngsten Bruder Napoleons regierte Königreich Westphalen, gegründet aus den Gebieten liquidierten Staaten wie Braunschweig und Hessen-Kassel und vormals preußischen Territorien, sollte zum napoleonischen Musterstaat in Deutschland werden.
Wie sich dieser Anspruch bei der Aufstellung einer westphälischen Armee umsetzen ließ, vermittelt das jüngst im Berliner Zeughaus Verlag erschienene Werk „Die Westphälische Armee der Napoleonzeit.“ Im Vordergrund steht zwar die Uniformgeschichte des 1807 – 1813 bestehenden Heeres, doch wird sie eingeleitet mit Kapiteln, in denen der politische und militärische Kontext vorgestellt wird und sie schließt mit einem ausführlichen Gefechtskalender. Die klare Gliederung prädestiniert den Band zu einem Handbuch. Die Uniformtafeln von Peter Bunde rekonstruieren quellenbasiert die Uniformierung aller Gattungen der westphälischen Armee. Ergänzt werden diese Darstellungen durch Abbildungen von originalen Uniformteilen, Reproduktionen von Gemälden und von Grafiken von Künstlern des 19. und 20. Jahrhunderts, darunter Sauerweid, Pinhas, Vater und Sohn Knötel, Boisselier und Wagner. In gleicher Weise ausgestattete Kapitel über die Ausrüstung, Bewaffnung und die Feldzeichen runden das Bild ab. Sympathischerweise ziert eine kolorierte Zeichnung des 2011 verstorbenen Uniformmalers und Sammlers Edmund Wagner den Umschlag des Buches.
Die Autoren von „Die Westphälische Armee der Napoleonzeit“, Markus Gärtner und Thomas Hemmann, sowie der Grafiker Peter Bunde, allesamt etablierte Spezialisten für die Uniformkunde der napoleonischen Epoche, profitierten davon, dass die Überlieferung im Fall des westphälischen Heeres besser als für die anderen Rheinbundarmeen ist. Sieht man davon ab, dass im Kölner Karneval des 19. Jahrhunderts Garde du CorpsHelme und -Kürasse eine Zeit lang zur Kostümierung verwendet wurden, liegt das wohl daran, dass westphälische Uniformen nach dem Ende des Königreichs nur für kurze Zeit weitergetragen wurden.
Das Buch ist in der Tat uneingeschränkt zu empfehlen. Wenngleich jedes Jahr zahllose Bücher über Napoleon 1., die Armeen und die Kriege seiner Epoche publiziert werden, finden sich vor allem unter den heereskundlichen Neuerscheinungen nur wenige, die auf neuen Forschungsansätzen und Erkenntnissen basieren. Eine erschöpfende, aber gut handhabbare Gesamtdarstellung zu einer Rheinbundarmee wie die hier besprochene fehlte bislang und man kann nur hoffen, dass dieses Werk eine Reihe begründen wird.
Dr. Gerhard Bauer
(Zeitschrift für Heereskunde, Nr. 476 April/Juni 2020, Seite 120)