Besprochen von Andreas R. Hofmann: Leipzig, E-Mail: arhofmann.klioman@gmail.com in Militärgeschichtlichen Zeitschrift MGZ 81 (2022) https://doi.org/10.1515/mgzs-2022-0070
Kaum ein Buch zu den Kriegen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts kommt ohne die Abbildung mindestens eines Gemäldes von Pieter (Peeter) Snayers aus. Trotz seiner prominenten Stellung in der Malerei des »Goldenen Zeitalters« der Nieder- lande ist über diesen flämischen Maler relativ wenig bekannt. Erstaunlicherweise scheint der hier vorzustellende populärwissenschaftliche Bildband tatsächlich die erste ausschließlich Snayers gewidmete Monografie zu sein.
Der 1592 in Antwerpen geborene Snayers (Taufdatum 24. November) lernte in der Werkstatt seines Landsmannes Sebastian Vrancx (1573–1647), der als Erfinder der Schlachtenmalerei gilt, auch wenn er seinerseits an Vorläufer wie den Italiener Antonio Tempesta (1555–1630) anknüpfte. In Snayers’ Antwerpener Zeit ist die Zusammenarbeit mit Jan Brueghel dem Jüngeren und Peter Paul Rubens nachgewiesen; für Letzteren malte er auf mehreren Gemälden zu den Hugenotten- kriegen die Heerkörper im Hintergrund. 1628 siedelte Snayers nach Brüssel über. Zu seinen Auftraggebern zählten vorrangig Angehörige der österreichischen und der spanischen Habsburger, darunter etwa der als Kunstmäzen bekannte Erzherzog Leopold Wilhelm, 1646–1656 Statthalter der spanischen Niederlande. Kurfürst Maximilian von Bayern und der ligistische und kaiserliche General Johann T’Serclaes von Tilly sind als Auftraggeber möglich, aber nicht sicher nachgewiesen. Ferner gehörten zu Snayers’ Kunden Karl Albert Bonaventura von Bucquoy, Sohn des kaiserlichen Heerführers Charles Bonaventure de Longueval, Grafen Bucquoy, sowie insbesondere der habsburgische Feldmarschall Octavio Piccolomini, für den Snayers einen Zyklus von zwölf heute im Heeresgeschichtlichen Museum Wien aufbewahrten Schlachtenbildern malte. Sein vermutlich letztes Gemälde mit einem militärischen Gegenstand, eine im Zweiten Weltkrieg zerstörte Darstellung der Belagerung von Valenciennes, malte Snayers 1662 im Auftrag der Stadt Valenciennes, anschließend bis zu seinem Tod am 31. Januar 1667 in Brüssel nur noch zivile Gegenstände.
Snayers’ Gesamtwerk ist so umfangreich, dass er in seiner Brüsseler Werk- statt zahlreiche Helfer beschäftigt haben muss; der Band erwähnt allerdings nur sechs dort ausgebildete Lehrlinge (S. 41). Snayers’ Bilder sind heute über zahl- reiche Privatsammlungen sowie Museen vom Prado in Madrid bis zur Eremitage in St. Petersburg verteilt; gelegentlich kommen noch Stücke aus Privatbesitz zum Verkauf. Ein Werkverzeichnis ist ein Forschungsdesiderat; der Band macht jedoch weder Angaben zum Gesamtumfang der von Snayer verfertigten Bilder, noch versucht er sich an einer Datierung der abgebildeten Stücke. Da Snayers erst ab 1642 dazu überging, seinem Namenszug eine Orts‑ und Jahresangabe hinzuzu- fügen, ist die genaue Datierung offenbar mangels Schriftquellen für frühere Bilder kaum möglich, zumal bei den keinem konkreten Ereignis zugeordneten Szenen. Zudem ist die Autorenschaft bei etlichen unsignierten Bildern strittig; teils wurden diese anderen Malern zugeschrieben, teils umgekehrt Bilder anderer Maler dem schon zu Lebzeiten berühmten Snayers.
Ohne jemals selbst an einem Feldzug teilgenommen oder ein Schlachtfeld besichtigt zu haben, wurde Snayers zum Bilddokumentaristen der drei langwierigsten Kriege seines Zeitalters, die sich zeitlich überschnitten und militärisch und machtpolitisch eng miteinander verwoben waren: des Achtzigjährigen Krieges zwischen Spanien und den Vereinigten Provinzen (1568–1648), des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) und des Spanisch-Französischen Krieges (1635–1659). Seine im Auftrag des Königs Sigismund III. von Polen gemalte Darstellung der Schlacht von Kirchholm 1605, eines polnischen Siegs über ein schwedisches Heer in Livland, fällt aus der Reihe und gehört zu den wenigen Bildern, deren Gegen- stand zeitlich vor der aktiven Schaffensphase des Malers liegt.
Neben den großformatigen Auftragswerken, die jeweils eine Schlacht oder Belagerung zum Thema haben, schuf Snayers eine große Anzahl von kleineren Genrebildern, bei denen er der militärischen Thematik treu blieb: Marsch‑ und Lagerszenen sowie Bilder aus dem »kleinen Krieg«, Überfälle auf Konvois oder Reiterscharmützel. Da seine Auftraggeber ausnahmslos auf der kaiserlich-katho- lischen bzw. spanischen Seite standen und naturgemäß nur die eigenen Siege im Gemälde zelebrieren ließen, fehlen in Snayers Werk die Siege der Gegenseite. Verschiedene Ereignisse verarbeitete er für unterschiedliche Auftraggeber gleich mehrfach in nahezu identischen oder ähnlichen Gemälden, so zum Beispiel die Schlacht am Weißen Berg 1620 oder die Entsatzschlacht von Diedenhofen 1639.
Über Snayers’ Quellen kann großteils wohl nur spekuliert werden. Entweder erhielt er seine Informationen direkt von den Feldherren und ihren Offizieren, oder er griff auf die kurz nach dem Ereignis gedruckten Relationen und die diesen beigegebenen Kupferstiche zurück. In einigen Fällen sind die zeitgenössischen Stiche als Bildvorlage klar erkennbar, so zum Beispiel bei den in Merians Werk- statt angefertigten Stichen für das »Theatrum Europaeum«. Jedenfalls ist trotz etlicher nachweisbarer Irrtümer bei der Topografie des Schlachtfelds oder den Truppenaufstellungen klar erkennbar, dass Snayers an einer faktisch möglichst korrekten und realitätsnahen Darstellung interessiert war und er keineswegs zum Mittel des generischen Schlachtenbildes griff, das bestimmte Landschafts‑ und Ereignistopoi als beliebig wiederverwendbare Versatzstücke einsetzte. Der Realismusbegriff ist bei Snayers allerdings dahingehend zu relativieren, dass er der zeitgenössischen Konvention folgte, hinter einem mit Staffage versehenen Vordergrund die Landschaft hochzuklappen, um das Gesamtgeschehen aus einer in der Realität nicht zu habenden erhöhten Perspektive sichtbar zu machen.
Während die Kupferstiche das Schlachtgeschehen meist als Anfangsaufstel- lung mit statischen Heeresblöcken zeigen und ihre Funktion als Schlachtpläne betonen, kommt es Snayers auf eine zumindest realitätsnahe Darstellung an: Seine Bilder wirken dynamischer, die der zeitgenössischen Taktik getreu gezeigten Einheiten sind in Bewegung gesetzt, die Piken nicht immer sauber in der Vertikalen, das Schlachtfeld mit Verwundeten und Toten bedeckt, an den Rändern kommt es zu Fluchtbewegungen. Die Staffagefiguren des Vordergrunds dienen nicht allein der Füllung leerer Fläche wie bei zeitgenössischen Stadt- ansichten, sondern sind sinnvoll an das Geschehen im Bildmittelgrund angeschlossen; hier werden Elemente der Genremalerei (z.B. Marketenderinnen‑ und Lagerszenen sowie Verwundetenversorgung) in die Schlachtenmalerei über- nommen.
Überhaupt lässt Snayers, der Meister des barocken Wimmelbildes, gerade in den sorgfältig gestalteten Figurinen wie in seinen kleinerformatigen Genrebildern eine genaue Kenntnis des militärischen Gegenstandes erkennen: Die einzelnen Truppengattungen sind unmittelbar an ihrer richtig und detailliert dargestellten Bekleidung und Bewaffnung erkennbar, und auch die in Westeuropa weniger geläufigen ostmittel‑ und südosteuropäischen Kavalleristen (Ungarn, Kroaten, Polen) sind anhand ihrer nationalen Kostüm‑ und Bewaffnungsmerkmale gut zu identifizieren. Die Bekleidung folgt im Allgemeinen dem Wandel der Mode von etwa 1620 bis 1660, was erkennen lässt, dass die Bilder jeweils kurz nach den dargestellten Ereignissen entstanden (was übrigens eine wenn auch nur ungefähre Datierung der undatierten Bilder ermöglichen würde); eine Ausnahme bildet die Darstellung der Belagerung von Ostende 1601–1604, die Snayers zusammen mit seinem Lehrer Vrancx malte und eine etwa zwanzig Jahre spätere Kleidermode zeigt.
Der prachtvolle Band bringt vermutlich erstmals eine so umfassende Auswahl aus Snayers Werk zwischen zwei Buchdeckeln zusammen. Er richtet sich allerdings nicht primär an den Kunsthistoriker, sondern an die an der Kriegsgeschichte des 17. Jahrhunderts interessierten Leserinnen und Leser, denn die in chronologischer Folge der dargestellten Ereignisse abgedruckten Gemälde bilden jeweils den Aufhänger für einen Überblick über den vorangegangenen Feldzug und den Verlauf der Feldschlacht bzw. Belagerung, dem sich eine kurze Beschreibung der Illustrationen anschließt. Den großformatigen, meist auf eine Doppelseite verteilten Abbildungen sind zusätzlich vergrößerte Ausschnitte beigegeben, zudem in vielen Fällen eine Auswahl der zeitgenössischen Pläne und Kupferstiche, die dem Maler als Vorlage gedient haben mögen. Gelegentlich sind zu Vergleichszwecken Werke anderer Maler zum selben Ereignis abgebildet. Eine Auswahl von Snayers Genrebildern ist ohne erkennbare Systematik in den Text eingestreut.
Veröffentlichungen wie diese sollten vielleicht auch die Militärhistorikerinnen und ‑historiker dazu anregen, die allgemein noch zu beobachtende Scheu vor der visuellen Quelle im vorfotografischen Zeitalter zu überwinden, diese nicht nur zu illustrativen Zwecken zu verwenden und die Werke von Künstlern wie Snayers und vielen anderen als militär‑ und kulturhistorische Quelle ernst zunehmen; sei es, um die dürftigen Schriftquellen der älteren Zeit zu kulturhistorischen Fragen zu ergänzen, sei es, um sie auf einer Höhe mit den ereignisgeschichtlichen Schriftdokumenten einer Quellenkritik zu unterziehen und auszuwerten.